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AutorenbildUltra Anna

Wann ist Stress eigentlich zu viel Stress?

Aktualisiert: 2. Okt. 2023


Wir haben alle Stress, gerade auch mit Tieren oft unkalkulierbaren Stress, dann die Angestellten und das Wetter, die Ansprüche der Gesellschaft an uns und der eigene Anspruch, den jeder an sich selbst hat. Und wir haben bekanntermaßen ein Problem. Landwirtschaft und Tierärzteschaft gehören zu den Berufsgruppen mit der höchsten Suizidrate. Eine wirklich gute Erklärung gibt es nicht, aber einen Weg: Wir müssen reden. Und zwar über den Stress, Warnhinweise und Hilfsangebote. Denn es ist 2023 völlig normal, sich Gedanken über die eigene Gesundheit zu machen und im richtigen Moment auch Hilfe anzunehmen. Es kann sowas Einfaches sein, wie sich bei einem guten Freund auszuheulen (ja, auch Männer dürfen das!) oder modernerweise kann man ganz ohne dass es jemand merkt mal „Resilienz lernen“ googlen. Oder vom Schlepper aus die Familienberatung anrufen. Merkt auch keiner. Und falls es jemand merkt: es haben schon viel mehr Leute als man denkt was für die eigene Gesundheit getan, egal ob gegoogelt oder sogar eine Therapie gemacht. Und das ist gut so!

Als ich ein Interview mit Christoph gehört habe, dachte ich: das muss ein Blogbeitrag werden. So ein wichtiges Thema! Also habe ich ihn auch um ein Interview gebeten – hier ist es:

 

Interview mit Christoph Rothhaupt



 

Hallo Christoph! Vielen Dank, dass wir heute über das Thema Burnout und Depression sprechen können. Du als Landwirt und ich als Tierärztin kommen aus besonders oft betroffenen Berufsgruppen. Ich bin beeindruckt, wie offen du darüber reden kannst. Ich finde das sehr wichtig, denn ich beobachte ab und zu Menschen, die abwiegeln und ich fürchte, dass es dadurch nicht besser wird. Aber fangen wir doch vorne an: erzähl doch kurz mal, wer du bist und wo du herkommst.


Hallo! Danke, dass du das Thema behandelst. Ich freue mich, mit meiner Geschichte anderen helfen zu können.

Ich komme aus Bad Neustadt an der Saale, das ist im Dreiländereck zwischen Thüringen, Hessen und Unterfranken.


Wir hatten 70 Kühe im Doppel 10er, sind dann auf Roboter umgestiegen. Aufzucht ausgelagert, später haben wir sogar die Remonte gekauft.




Wie ist es dir ergangen, du warst ziemlich weit unten und kannst heute aber gut darüber reden. Wie kam das alles?


2013 nach dem Tod meines Vaters konnte ich den Betrieb und mich erst selbst entwickeln. Die Leistung gesteigert auf 8800kg Milch mit Fleckvieh bei 2,9 Melkungen. Ich habe viel Arbeit und Perfektionismus reingesteckt, bei Klauenproblemen habe ich immer sofort reagiert und es notfalls abends spät gemacht, habe Listen durchgearbeitet und alles immer verbessert. 2015 nach dem Umbau merkte ich dann, dass es schon ein bisschen viel wurde. Die neue Aufgabe mit den Robotern und keine Zeit für Trauer. Vermutlich hatte ich damals schon einen Burnout. Ich habe Arbeiten nicht mehr fertig gebracht, war so ziellos. Einfach nicht motiviert und ständig schlapp. Habe mir andauernd Gedanken gemacht, was muss ich noch alles machen, habe schlecht geschlafen. Meine Frau hat damals auf einen Urlaub in Schweden bestanden. 4 Tage habe ich gebraucht und dann 7 Tage richtig die Ruhe genossen. Dann ging es 3 Jahre ohne Urlaub. Im Mai 2018 war es wieder so, alles zu viel. Da kamen dann noch Euterprobleme dazu. Auch vereinzelte Euterentzündungen waren für mich nicht akzeptabel. Ich war immer bei Zellenzahlen von 110.000 gewesen, und bei 160.000 ging bei mir die Sirene an. Was für andere vielleicht okay ist, aber ich habe mich richtig versteift in das Thema. Ich wollte es nicht wahrhaben. Ich habe den Grund nicht gefunden und das hat mich so fertig gemacht. Da kam dann immer noch was dazu: ich hatte eine richtig schicke Lieblingskuh, mit einer tollen Leistung und eines morgens guckt die mich schon so schepps an. Da hatte sie Ketose. Das hat mich auch noch mal richtig runtergeputzt. Ich hatte schon richtig Angst vor dem Aufstehen morgens. Oder wenn der Roboter anruft. Was ist jetzt wieder. Jedes Mal ging der Puls hoch. Und ich hab mir dann so gedacht, wenn dass das Leben sein soll, dann will ich das nicht. Das ist nicht lebenswert. Immer der Gedankenkreislauf, ich bin schuld an allem und ich bin wertlos. Wenn ich in den Spiegel geguckt hab, hab ich gedacht: Eigentlich wär‘s besser, du wärs nimmer da. Die Wiederholung und das Stetige macht einen fertig. Da war der Plan dann ausgereift, da war der Tod eine Option. Im August 2018 war ich also eh schon unten und dann reichte eine kleine Kleinigkeit, die hat mir den Stecker gezogen. Es waren Flocken im Milchfilter und da bin ich auf der Stelle zusammengebrochen. Ich konnte mich nicht mehr auf den Beinen halten. Warum eigentlich ich? Kann ich mal Ruhe haben? Und ich hatte ja den Tod als Möglichkeit. Mich hat damals mein kleiner Sohn gerettet. Ich hatte Bilder von ihm im Kopf und habe es nicht getan. Meine Frau hatte mir die Nummer von der Familienberatung gegeben und da habe ich angerufen. Das war der Wendepunkt. Die haben mir einfach das Gefühl gegeben, dass jemand hilft. Es ist jemand da. Ich hatte gleich am nächsten Tag einen Termin in Würzburg und konnte da einfach alles rauslassen. Einfach den Druck loswerden können, das war sehr befreiend. Das Gefühl, „mir wird geholfen“, das nimmt die Angst davor, dass es nie besser wird. Man hat ja das Gefühl, dass es bei allen anderen perfekt läuft.


Natürlich ist das nicht so, perfekt gibt es ja gar nicht.


Richtig, das ist heute auch logisch für mich. Damals wusste ich auch nicht, dass das Depression ist, ich glaubte es wäre ein Burnout. Die Therapeutin hat die Diagnose gestellt und das war auch richtig so. Dadurch gab es auch die Befreiung von Fristen. Depression, trotzdem ich gut schlafen konnte. Ich bin vom ganzen Denken eingeschlafen, das war eine Erschöpfungsdepression. Mir hat alles wehgetan, ich hatte nur noch Schmerzen überall und so viele Tabletten gefressen.


Wie hast du es dann geschafft? Der Betrieb wurde umgestellt?


Mit der ländlichen Familienberatung. Da kam die Idee „ohne Kühe“. Den Gedanken hatte ich mir selbst nicht erlaubt, auch aus Angst vor den Aasgeiern. Die Berufskollegen, die dann über einen herfallen. Aber es geht auch ohne Kühe. Wir haben zwei Pläne gemacht und einen durchgezogen: Bio ohne Tiere, dazu einen Job nebenbei. Im Dezember 2018 haben wir den gemacht und dann der Familie gesagt. Das war auch nicht leicht, die Oma meinte, ich mache alles kaputt was mein Vater aufgebaut hat. Das Gefühl hatte ich ja auch, das so an den Kopf geworfen zu bekommen war hart. Es ist aber nun Mal mein Leben. Die Entscheidung war nicht leicht. Aber ich konnte gleich merken, dass diese Entscheidung richtig war: ich war sofort besser drauf, der Ausweg war geschaffen und ich konnte Licht am Ende des Tunnels sehen.

Die Kühe sollten eigentlich zum 30.06. weg, dann ergab sich aber eine Gelegenheit und so war am 09.03.19 schon die letzte weg. Da brauchte ich dann ein paar Wochen, bis das verarbeitet war und dann ging‘s mit Hilfe der Therapeutin aufwärts. Ich habe dann ein halbes Jahr Zeit mit mir sich selbst verbracht, erstmal den Gefühlen einen Raum geben. Man kann viel tragen, aber es geht nicht alles. Extreme kann man mal aushalten, aber es geht nicht auf Dauer. Körper und Geist laufen nur zusammen. Die letzten Jahre waren sehr sehr viel für Landwirtschaft.


Da hast du recht. Kein Mensch kann alles alleine tragend, man kann es nicht allen rechtmachen und das ist okay. Es ist auch völlig in Ordnung, eine Therapie zu machen. Es haben sich auch schon mehr Menschen helfen lassen, als man so denkt.


Ein vernünftiges Leben zu führen, ist jedermanns Recht. Wer das akzeptiert hat, kann auch darüber reden. Es nichts anderes als zum Fitnesstrainer gehen.

Und was ich noch sagen möchte: Es war nicht die Landwirtschaft, die mich krank gemacht hat. Bei mir kam das aus der Kindheit. Ich hatte als Kind gelernt, dass ich nur gegen Leistung wertgeschätzt werde. Ich musste lernen, dass ich nicht der Betrieb bin. Heute steht der Mensch Christoph für mich im Mittelpunkt, das ist viel gesünder. Das ist gerade in der Veredelung aber nicht selbstverständlich, da sind Mensch und Tier sehr stark verstrickt.


Stimmt! Wie ist denn die Therapie so?


Therapie ist nicht schlimm, sie tut nicht weh. Man kommt nicht in die Gummizelle. Wer freiwillig reingeht, kann auch freiwillig raus. Es gibt auch Medikamente, die einen nicht aus dem Leben hauen sondern einfach als Brücke bis zu dem Punkt bringen, wo du dir helfen lassen kannst. Jeder darf einsehen, wenn es ihm schlecht geht. Mir tut Sport gut. Schlaf ist wichtig. Es geht nicht, jede Nacht nur mit ein paar Stunden auszukommen. Das hält der Körper einfach nicht aus, die Balance ist wichtig. Es muss einen Ausgleich geben, es muss alles in der Waage bleiben. Leben und Arbeiten. Für mich ist zum Beispiel wichtig, klare Strukturen zu haben. Und klare Kommunikation. Was los ist, muss gesagt werden.


Gibt es einen Punkt, an dem man sagen kann „jetzt muss ich mir Hilfe holen“?


Punkte gibt es viele. Hilfe sollte man je eher desto besser annehmen, umso gesünder wird man danach werden. Je tiefer man war, desto länger begleitet es einen.


Woran merke ich, dass was nicht in Ordnung ist? Du hast ja schon ein paar Dinge genannt, zum Beispiel dass du nichts mehr fertig bekommen hast.


Vergesslichkleit ist auch ein Zeichen. Nicht schlafen können, gereizt sein, leicht ausflippen. Wenn man sich distanziert von guten Sachen, von sozialen Kontakten zB. Für mich war sogar schon morgens der Sonnanaufgang scheiße. Ich habe mir selbst nichts Gutes gegönnt. Es kann auch Rastlosigkeit sein. Jemand sagte zu mir, ich hätte arrogant gewirkt. Dabei hatte ich einfach keine Kraft zum Reden.

 

Was kann ich tun, wenn ich merke dass es mir nicht gut geht? Ich ziehe mich immer mehr zurück, bin anteilnahmslos, möchte niemanden sehen?


Sehr hilfreich ist die SVLFG, weil die schnell helfen, auch schon am Telefon. Das ist sogar aufm Schlepper möglich und man muss auch nicht unbedingt seinen Namen nennen. Auch die Ländliche Familienberatung hilft, dann kommt jemand oder man fährt hin. Das ist keine Therapie, aber sie helfen betrieblich, beispielsweise bei Hofübergabe und Generationskonfliken und allen Krisen auf dem Hof. Auch sowas einfaches wie Stresseminare vom SVLFG sind wichtig. Damit man weiß „das ist jetzt nicht normal“, „mir geht’s grad nicht gut“ und diesen Gedanken erlauben kann. Das ist ganz wichtig, unterdrücken macht es nur schlimmer.


Was sollte noch erwähnt werden?



Nehmt eher Hilfe an! Vom Stresseminar, vom besten Freund, das ist ganz egal. Erstmal ins Sprechen kommen, Hilfe annehmen. Psychologen haben oft Wartezeit, es gibt aber auch Kliniken, die auf Landwirte spezialisiert sind. Therapie macht stärker! Dadurch, dass man sich selbst kennenlernt, wird man selbstbewusster. Betrieblich verliert man nichts, man kann nur gewinnen. Das zeigen auch die vielen Menschen, von denen ich Zuspruch bekomme.


 

Das ist wirklich gut zu hören. Herzlichen Dank für diese ehrlichen Worte, und auch für die Mut machenden Worte. Ich finde, es sollte noch viel normaler werden, sich auch um seine geistige Gesundheit Gedanken zu machen und daran zu arbeiten.

Danke Christoph!

 

 

Ansprechpartner:


https://landwirtschaftliche-familienberatung.de/ (auf der Karte Bundesland auswählen, dort wird die Telefonnummer angezeigt)


https://www.svlfg.de/gleichgewicht Krisenhotline: 0561 785 – 10101

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